| " Sonntag, 26.06.05 " Der Fall:  Die 19-jährige Kerstin soll ihre Mutter nach einem
                                    Streit mit dem Küchenmesser schwer ver-letzt haben. - - - - - - - - - - - - - - - - - - -  Gisela hatte immer daran geglaubt, dass ein Augenblick
                                    ein ganzes Leben verändern konnte. Diese Weisheit hatte
                                    sich bei ihr bewahrheitet, als ihre Tochter Kerstin sie
                                    bei einem Streit mit dem Küchenmesser schwer verletzt hatte,
                                    nachdem sie Drogen bei Kerstin gefunden hatte und das Mädchen
                                    zur Rede stellen wollte. Es wollte ihr nicht in den Kopf,
                                    dass sie sie einfach hatte liegen lassen und scheinbar
                                    gleichgültig gegangen war. Sie hatte selbst den Notarzt
                                    ru-fen müssen. "Sie haben großes Glück gehabt"
                                    versicherte ihr ein mitleidiger Arzt, "die dicke Jeansjacke
                                    hat das Schlimmste verhindert". Glück, dachte sie
                                    benommen. Meine drogenabhängige Tochter, die übrigens keinen
                                    Schulabschluss hat, geht mit dem Messer auf mich los und
                                    du kommst mir mit Glück gehabt. Zwischen diesen Augenblick
                                    lag einige Zeit und ein nervenaufreibender Prozess dazwischen.
                                    Ursprünglich war nur der Angriff mit dem Messer verhandelt
                                    worden, sie wollte nämlich nicht, dass die Sache mit den
                                    Drogen raus kam. Jedoch durch geschickte Fragen des Richters
                                    kam auch dieses Tabu-Thema ans Tageslicht. Ganz nebenbei
                                    lernte Gisela auch ihre Mitmenschen von der wahren Seite
                                    kennen. Es gab manche, die ehrliches Mitleid hatten und
                                    helfen wollten. Andere wiederum waren einfach nur chronisch
                                    neugierig und wollten jedes Detail wissen, um saftigen
                                    Klatsch zu verbreiten. Gisela ertrug dies mit geradezu
                                    stoischer Würde. Nun saß sie scheinbar gelassen in der
                                    Küche und sah zu wie fremde Menschen jeden Zentimeter der
                                    Wohnung durchwühlten. Keine Schublade wurde ausgelassen,
                                    alles wurde durchwühlt. "Möchte jemand Kaffee?"
                                    hörte sie sich lakonisch fragen, um dann doch nervös zusammen
                                    zu zucken. Ein Beamter war in einen Schrank fündig geworden,
                                    später sollte sich rausstellen, dass es sich hierbei um
                                    350 Gramm Koks und 150 Tabletten Ecstasy handelte. Natürlich
                                    blieb die Anwesenheit der Polizei und des Staatsanwaltes
                                    der neugierigen Nachbarschaft nicht verborgen, und bald
                                    klingelte es an der Tür und sie trampelten sich geradezu
                                    gegenseitig nieder um seltsamerweise gerade jetzt unbedingt
                                    Zucker oder ähnliches zu borgen. Dabei betrachteten sie
                                    die Szenerie mit geradezu gierigen Blicken. Sie war auch
                                    ganz heilfroh und dankbar, als der Staatsanwalt Lucas so
                                    ziemlich barsch verkündete, der Zucker und alles andere
                                    übrigens auch wäre aus und er wäre so ziemlich froh, wenn
                                    er in Ruhe seine Arbeit tun könnte. Für sie als Mutter
                                    war Kerstins Drogengeschichte schwieriger zu ertragen,
                                    als der Angriff mit dem Messer. Ironischerweise kamen sich
                                    ausgerechnet in der Zeit Mutter und Tochter wieder näher.
                                    Bei dem Prozess hatte sie genau Kerstins patzigen und trotzigen
                                    Antworten gelauscht und doch hatte sie erkannt, dass ihre
                                    Tochter sie brauchte. Es kam zu einer Annäherung und endlich
                                    nach langer, langer Zeit konnten sie normal miteinander
                                    sprechen. Kerstin erzählte viel von den Dingen, die sie
                                    erlebt hatte und vieles davon schockierte Gisela sehr.
                                    Auch Leyla hielt zu Kerstin und Gisela und Leyla be-suchten
                                    Kerstin oft in der Untersuchungshaft.
 In der Untersuchungshaft begann ein ganz neues Leben für
                                    Kerstin. In der winzigen Zelle, in der man die Toilette
                                    notdürftig mit einer Schranktüre verdeckte, begann Kerstin
                                    darüber nachzudenken, was mit ihr geschehen war und warum
                                    es geschehen war. Hier trafen die un-terschiedlichsten
                                    Charaktere aufeinander. Frauen, Mädchen, die hart taten
                                    und andere die es wirklich waren. Viele von ihnen hatten
                                    eine ganz ähnliche Geschichte wie Kerstin und sie war froh
                                    sich mit ihnen austauschen zu können. Natürlich gab es
                                    auch ein paar, denen man lieber aus dem Weg ging. Aber
                                    hier, hinter Gitter kam sogar der Friseur und langsam,
                                    langsam zwichen Aufstehen, Mahlzeiten und Hofgängen und
                                    Umschlüssen zu festen Zeiten kam auch wieder Ordnung in
                                    ihr Leben. Eigentlich konnte sie sich über ihre frühere
                                    Naivität nur wundern. Tänzerin hatte sie werden wollen
                                    und dann hatte sie begonnen für einen Mann zu strippen,
                                    der versprochen hatte sie den entsprechenden Talentsuchern
                                    vorzustellen. Aber sehr schnell hatte er sie unter Druck
                                    gesetzt, sie gezwungen bei harten Filmen mitzuwirken und
                                    dann kamen da die Drogen hinzu. Da die Drogen sehr teuer
                                    waren, fing sie selbst an mit ihnen zu handeln. Dinge waren
                                    geschehen, die sie sich nie hätte vorstellen können und
                                    jetzt wo sie in der JVA war, hatte sie nur ein Ziel. Den
                                    Schulabschluss nachzuholen, um vielleicht doch noch eine
                                    gute Ausbildung zu machen. Leyla, die als Kassiererin in
                                    einer Drogerie arbeitete, hatte ihr auch schon versprochen
                                    bei ihren Chef nachzufragen, ob da nicht ein Ausbildungs-platz
                                    für sie drin wäre. Sie war froh eine beste Freundin wie
                                    Leyla zu haben und sie war froh, dass ihre Mutter nach
                                    allem zu ihr stand. Das half ihr auch dabei, ihre Drogensucht
                                    zu bekämpfen. So war sie ganz froh, einen Therapieplatz
                                    zu haben und anders als manche, die so-gar noch in der
                                    JVA weiter Drogen nahmen, beteiligte sie sich aktiv an
                                    ihrer Therapie. Sie hatte es nicht für möglich gehalten,
                                    aber da wo sie es am wenigsten erwartet hatte, fing sie
                                    neu an. Sie achtete wieder auf sich und auch hier hatte
                                    man durchaus Möglichkeiten Hobbys nachzugehen. Es gab eine
                                    Bücherei, man konnte Sport machen und sie belegte auch
                                    einen Computerkurs. Auch eine Zelle konnte man mit persönlichen
                                    Dingen verschönern, so dass es halbwegs erträglich war.
                                    Trotz fester Regeln war auch viel Raum für Zwischenmenschliches.
                                    Kerstin war fest entschlossen ihr Leben wieder in den Griff
                                    zu kriegen.
 
 Als die Anklage wegen Drogenmissbrauch und Drogenhandel
                                    verlesen wurde, war sie sehr aufgeregt. Trotzdem trat sie
                                    in diesem Prozess viel höflicher auf und machte freiwillig
                                    ihre Aussagen. Auch der Jugendgerichthilfe waren die positive
                                    Veränderung an Kerstin aufge-fallen und das sagte sie zur
                                    Kerstins Freude auch deutlich aus. Als es an Kerstin war,
                                    das letzte Wort zu sagen, entschuldigte sie sich bei ihrer
                                    Mutter. Das Urteil lautete 2 Jahre und 6 Monate. Trotzdem
                                    wusste sie, es war ein neuer Anfang.
 
 
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